Wie dich ein toxischer Chef manipuliert, ohne dass du es merkst

Quelle: WELT – Veröffentlicht am 07.04.2022, Redakteurin Community & Social

Erst sind sie charmant und charismatisch. Sie finden die richtigen Worte und bauen Vertrauen auf. Doch dann wandelt sich das Bild. Sie manipulieren und täuschen – so lange, bis das Opfer plötzlich als Täter dasteht.

Toxische Führungskräfte sind Meister im Manipulieren. Nur wer ihre Verhaltensmuster kennt, kann ihre Tricks durchschauen und sich vor ihnen schützen. Aus diesem Grund hat sich eine Forschergruppe aus der Schweiz zusammengetan. Mit ihren Forschungen wollen Anja Oswald, Pablo Hagemeyer und Jan Gysi mehr Bewusstsein für sogenannte Toxic Leader schaffen und deren Opfern hilfreiche Tipps an die Hand geben.

„Toxische Führungskräfte wollen vor allem Macht und Kontrolle“

Unter dem Begriff „Toxic Leader“ verstehen die Experten toxische Menschen in Machtpositionen.

Bei ihnen findet sich eine Kombination aus Eigenschaften der sogenannten Dunklen Tetrade: Machiavellismus, Sadismus, Soziopathie und Narzissmus.
Pablo Hagemeyer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Wie stark diese Eigenschaften jeweils ausgeprägt sind, variiere von Person zu Person. Der Machiavellismus finde sich jedoch in jeder toxischen Führungskraft. „Machiavellisten gehen ganz strategisch vor, um ihre Ziele zu erreichen – ohne Rücksicht auf Verluste.“

Doch was sind ihre Ziele? Zum einen seien sie getrieben von der Gier nach Anerkennung und Reichtum, erklärt der Psychiater. „Vor allem wollen sie aber Macht und Kontrolle.“ Eine solche Person möchte wohl keiner als Vorgesetzten haben. Sie sofort als toxische Führungskraft zu identifizieren, ist jedoch äußerst schwierig.

Sie können zu Beginn unglaublich charmant, eloquent und gewinnend wirken.
Pablo Hagemeyer, Psychiater
Das liege nicht zuletzt an einer Fähigkeit, die sie nahezu perfekt beherrschen: kognitive Empathie.

Kognitive Empathie: die Fähigkeit, Empathie an- und abzuschalten

Unter Empathie verstehen die meisten von uns die Fähigkeit, die Gefühle anderer nachempfinden zu können. Toxische Führungskräfte können sich zwar nicht aufrichtig in ihre Mitmenschen einfühlen, aber sie können täuschend gut so tun als ob. Auf diesem Weg bauen sie zunächst eine Bindung zu ihren Mitarbeitern auf. Sobald das Vertrauen da ist, können sie mit der Manipulation beginnen.

„Nachdem der Mitarbeitende überschwänglich mit bewundernden Komplimenten überhäuft wurde, wird er auf seine Loyalität geprüft“, schreiben die Forscher in einer wissenschaftlichen Publikation. „Der Chef bittet ihn, leicht grenzüberschreitende Aufgaben zu erledigen.“ Weil er das Vertrauensverhältnis zu seinem Chef nicht gefährden möchte, fragt der Mitarbeiter nicht kritisch nach. Schließlich weiß der Chef ja am besten, was richtig und was falsch ist. Oder? „Damit hat sich der Mitarbeitende bereits im Spinnennetz der toxischen Führungsperson verfangen.“

Diese Phase ist jedoch nur die erste von vielen, weitaus unangenehmeren Phasen. „Besonders übel wird es, wenn sich der toxische Chef jemanden ausgesucht hat, den er fertigmachen will“, so Hagemeyer.

 

Die Waffen toxischer Führungskräfte

In ihrer Publikation listen die Forscher eine Vielzahl an Waffen auf, die toxische Personen gegen ihre Opfer einsetzen. Eine beliebte Taktik ist das Verbreiten erfundener Behauptungen über das Opfer. Indem sie oberflächliche, diffuse Behauptungen ohne Faktengrundlage aufstellen, finden toxische Führungskräfte in ihrem Arbeitsumfeld Sympathisanten. Sie drehen Geschichten so, wie es ihnen gerade nützt. So wird das Opfer in die Enge getrieben – und von den Kollegen isoliert.

Wenn ein Mitarbeiter keine Kollegen hat, mit denen er sich austauschen kann und die ihn verstehen, ist er allein und hilflos.
Pablo Hagemeyer, Psychotherapeut und Buchautor
Die Spaltung des Teams sei für toxische Führungskräfte ganz wichtig. Diese erreichen sie unter anderem, indem sie gezielt einzelne Mitarbeiter bevorzugen und andere diskreditieren. Oder sie locken ihre Mitarbeiter mit falschen Versprechen, zum Beispiel, indem sie jedem einzelnen einflüstern, man hätte die besten Chancen, Abteilungsleiter zu werden. Den Kollegen dürfe man natürlich nichts sagen, da diese ebenfalls scharf auf die Position seien. „Dann vertraut niemand mehr dem anderen“, sagt Hagemeyer. Das verbreitet Angst – und gibt der Führungskraft mehr Kontrolle.

So können sich Opfer schützen

Das beschriebene Verhalten kommt dir bekannt vor? Dann solltest du alles bis ins kleinste Detail protokollieren. Hebe Beweise wie SMS-Nachrichten, Mails und Screenshots auf. „Selbst die kleinsten Gegebenheiten können vor Gericht wichtig werden“, schreiben die Autoren. Nur mit einem ausführlichen Protokoll kannst du dich gegen Lügen, Unterstellungen und Beschuldigungen wehren.

Ebenso wichtig sei es, dein Netzwerk zu stärken, um dich gegen die Isolationsversuche zu wehren. Aber Vorsicht: Da toxische Führungskräfte überzeugend gut Geschichten erzählen können, wird ein Teil deines Umfelds diesen glauben und sich von dir abwenden. Deshalb raten die Experten zu Vorsicht bei der Auswahl der Vertrauenspersonen. „Die Sekretärin des Chefs ist mit Sicherheit nicht neutral. Auch wenn sie sich kurzfristig auf Ihre Seite stellt.“ Vernetzen kannst du dich auch außerhalb der Arbeit, zum Beispiel mit einem Therapeuten oder einem Anwalt. Diese werden dir dabei helfen, die Situation zu reflektieren und regelmäßig deine Möglichkeiten zu überprüfen.

Der letzte Tipp der Experten: Unterschätze niemals einen „Toxic Leader“. „Vergessen Sie nie seine Reue- und Gewissenlosigkeit. Er kennt nur Grandiosität und Wertlosigkeit. Dazwischen ist der freie Fall. Darum gibt es für ihn nur Sieg. Die Niederlage würde mit der eigenen Wertlosigkeit einhergehen. Um das zu verhindern, ist jede Lüge, jede Manipulation, jedes Mittel recht. Erst wenn er Sie in seinen Augen wertlos gemacht hat, fühlt er sich wieder allmächtig und für einen kurzen Moment gut. Darum sind Narzissten so süchtig nach Anerkennung. Es ist ihre einzige Chance, etwas zu fühlen.“