Quelle: Wirtschaftswoche vom von Nell Rubröder
Trotz Fachkräftemangel haben es Ältere auf dem Arbeitsmarkt nicht leicht. Einige Unternehmen beweisen aber: Erfolgreiche Personalgewinnung funktioniert auch über die Fünfzig hinaus.
Dem 53-Jährigen Andre Domke, der mehrere Filialen eines großen Telekommunikationsunternehmens in Berlin leitete, fehlte im Job die Wertschätzung. Und dann war da diese Anzeige. Domke entdeckte sie eines Abends in den sozialen Medien, als er mit seiner Frau beim Abendessen saß. Die Berliner Volksbank warb darin für ihr Quereinsteigerprogramm – ein Karrierewechsel, der ihn schon länger interessierte.
Heute steht Domke kurz vor dem Abschluss seiner neunmonatigen Ausbildung zum Volksbankkaufmann. Er verdient weniger als in seinem alten Job. Aber er ist dafür auch glücklicher.
Neuanfang statt Abstellgleis?
Wer offene Stellen besetzen will, wird auf Ältere angewiesen sein
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nehmen heute etwa 50 Prozent der Erwerbstätigen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren an Weiterbildungen teil, zu denen auch Umschulungen zählen. Im Vergleich zu 1991, als die Quote bei nur 23 Prozent lag, ist dies ein enormer Anstieg. Und doch verläuft die berufliche Neuorientierung für die wenigsten so reibungslos für Domke. Zwar klagen viele Unternehmen über den Fachkräftemangel. Über Bewerbungen von Menschen jenseits der 50 hält sich die Begeisterung dennoch bei ebenso vielen Firmen in Grenzen.
Uwe Matthias Müller hört immer wieder von über 50-Jährigen, die Hunderte von Bewerbungen schreiben und nie eine Antwort erhalten. „Kürzlich rief mich eine 52-Jährige an, die über 150 Bewerbungen verschickt hatte und nur von dreien eine direkte Absage erhielt – von den anderen bekam sie nicht einmal eine Rückmeldung“, erzählt der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes 50Plus, der sich für die Potenziale und Interessen der über 50-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt einsetzt.
Müller ist überzeugt, dass die Unternehmen sich das nicht mehr allzu lange leisten können. Schon heute ist fast jeder vierte Beschäftigte über 55 Jahre alt, etwa zwei Millionen Ältere werden in Engpassberufen in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen. Wer die offenen Stellen besetzen will, wird auf Ältere angewiesen sein. Auf ihr Wissen. Und auf ihr Engagement.
Vor allem die deutschen Banken stehen vor enormen Herausforderungen, denn nicht die Zinswende oder die Rezession sind die drängendsten Probleme der Geldhäuser – sondern der Personalmangel: Schon heute liegt das Durchschnittsalter der Mitarbeiter in deutschen Banken und Sparkassen bei über 47 Jahren. Bis 2030 werden die meisten Institute rund 30 Prozent ihrer Mitarbeiter verlieren. Vor dem Hintergrund, dass bereits im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres laut Personalmarktforschung Index rund 65.000 Stellen im Finanz- und Rechnungswesen unbesetzt waren, eine düstere Prognose.
Das hat auch die Berliner Volksbank erkannt: Auch hier reicht die klassische Ausbildung zum Bankkaufmann nicht mehr aus, um alle offenen Stellen zu besetzen. Mit einem Quereinsteigerprogramm baut sich das Unternehmen deshalb seit Januar innerhalb weniger Monate seine eigenen Fachkräfte auf – unabhängig von Alter und Qualifikation.
Quereinsteigerprogramm bei den Banken
Nur: Wenn in Deutschland eine Lehrstelle ausgeschrieben wird, fühlen sich nur wenige Menschen jenseits des klassischen Ausbildungsalters angesprochen. „Wir mussten uns damals erst einmal überlegen, wie wir deutlich machen, dass bei uns wirklich jeder willkommen ist und der Lebenslauf zweitrangig ist“, erinnert sich Gabriele Kinast, Leiterin Recruiting. In den Anzeigen betonte die Bank deshalb, dass sie Menschen sucht, die Lust auf einen Neuanfang haben.
Viele Voraussetzungen an potenzielle Kandidaten stellte sie nicht. „Wir wollten uns den Pool an Bewerbern so groß wie möglich halten.“ Nur eine gewisse Affinität mit Technik sollten die Bewerber mitbringen.
Und auch die Akzeptanz im Unternehmen war bei der Kandidatensuche entscheidend: Denn oft, betont Kinast, kämen potenzielle Kandidaten gar nicht über die klassischen Wege auf die Stelle, sondern über Mitarbeiter innerhalb der Bank. „Damit diese Kanäle weiter offen bleiben, muss allen klar sein, dass das Alter für die Wertschätzung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Rolle spielt“, sagt die Personalerin. Das funktioniere gerade dann, wenn Menschen jeden Alters und verschiedener Generationen unter einem Dach zusammenarbeiten.
Die Ausbildung folgt dabei den Grundbausteinen einer traditionellen Kaufmannsausbildung. Allerdings werden die Schulbesuche, die mündlichen und schriftlichen Prüfungen sowie die Praktika in den Filialen sozusagen im „Turbo-Modus“ durchgeführt und gezielt auf die Anforderungen in der Filiale und im Kundenservice zugeschnitten. Im Gegensatz zu Schülern oder Abiturienten müssen älteren Azubis die Grundzüge des Bankwesens nicht mehr erklärt werden. Daher reichen neun Monate aus, um sie gezielt auf ihre Aufgaben im Unternehmen vorzubereiten.
Wertschätzung ausschlaggebend
Die Ausbildung feierte im Januar Premiere und befindet sich nun bereits in der zweiten Runde: Etwa alle vier Monate erhalten 12 bis 15 Menschen die Chance, bei der Berliner Volksbank als Volksbankkaufleute einen Neuanfang zu wagen. „Im ersten Durchgang“, erzählt Kinast. „hatten wir eine Kollegin, die bereits über 20 Jahre lang bei ihrem vorherigen Arbeitgeber war und alles hinter sich gelassen hat“. Das, betont sie, erfordere enormen Mut. Es sei etwas ganz anderes, wenn ein Schüler eine Ausbildung beginnt, der noch sein ganzes Leben vor sich hat. Die Älteren stünden mitten im Leben und hätten vielfältige Verpflichtungen.
Auch deshalb sei es wichtig, dass die Teilnehmer des Programms von Anfang an angemessen entlohnt werden. „Uns war von Anfang an klar, dass die Teilnehmer kein Lehrlingsgehalt bekommen können, sondern ein Einstiegsgehalt, das ihrer späteren Position im Unternehmen entspricht, damit das Umschulungsprojekt funktioniert.“
Für Träume ist es nie zu spät
Auch Anke Hirsch, inzwischen 65 Jahre alt, wagte vor etwa einem Jahrzehnt den beruflichen Neuanfang: Nach fast 25 Jahren beim selben Arbeitgeber wechselte die damals 55-jährige als Bauingenieurin zur Deutschen Bahn. Eigentlich hätte sie vor einem Jahr in den Ruhestand gehen sollen. Doch als ihr Vorgesetzter sie fragte, ob sie weiterhin im Unternehmen bleiben möchte, sagte sie sofort zu. Seither ist sie Senior-Expertin.
So nennt die Bahn all jene erfahrenen Mitarbeiter, deren Wissen der Konzern auch dann noch nutzen will, wenn sie das Renteneintrittsalter erreicht haben. Fast jeder dritte Deutsche nimmt die so genannte „Rente mit 63“ in Anspruch und scheidet damit vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus. Auch weil diesen Menschen Perspektiven und Projekte in ihrem Beruf fehlen. Diesem Trend will die Bahn unter anderem mit dem Senior-Expert-Programm entgegenwirken.
Im vergangenen Jahr stellte das Unternehmen fast 1400 neue Mitarbeiter über 55 Jahre ein – von Quereinsteigern im Marketing bis hin zu Busfahrern und Lokführern.
Kerstin Wagner, Leiterin der Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn betont: „Natürlich sind Fachkenntnisse wichtig, aber mindestens genauso wichtig sind uns die Motivation und Leidenschaft, die in den Beruf eingebracht werden, und das ist unabhängig vom Alter.
Anke Hirsch arbeitet deshalb nicht nur drei Tage pro Woche daran, neue Mitarbeiter im IT- und Softwarebereich der Deutschen Bahn einzuarbeiten. Sie betreut auch das Großprojekt Karlsruhe-Basel, in dessen Rahmen derzeit eine 200 Kilometer lange neue Bahnstrecke entsteht. „Weder mit 56 noch heute mit 65 Jahren habe ich jemals gespürt, dass mein Alter irgendwie von Bedeutung ist“, erinnert sich Hirsch. Ganz im Gegenteil: Sie erfährt Anerkennung für ihr Know-how. Und kann sich heute sogar ihren größten beruflichen Traum erfüllen: den Bau eines Tunnels.
Quelle: Wirtschaftswoche vom von Nell Rubröder
Trotz Fachkräftemangel haben es Ältere auf dem Arbeitsmarkt nicht leicht. Einige Unternehmen beweisen aber: Erfolgreiche Personalgewinnung funktioniert auch über die Fünfzig hinaus.
Dem 53-Jährigen Andre Domke, der mehrere Filialen eines großen Telekommunikationsunternehmens in Berlin leitete, fehlte im Job die Wertschätzung. Und dann war da diese Anzeige. Domke entdeckte sie eines Abends in den sozialen Medien, als er mit seiner Frau beim Abendessen saß. Die Berliner Volksbank warb darin für ihr Quereinsteigerprogramm – ein Karrierewechsel, der ihn schon länger interessierte.
Heute steht Domke kurz vor dem Abschluss seiner neunmonatigen Ausbildung zum Volksbankkaufmann. Er verdient weniger als in seinem alten Job. Aber er ist dafür auch glücklicher.
Neuanfang statt Abstellgleis?
Wer offene Stellen besetzen will, wird auf Ältere angewiesen sein
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nehmen heute etwa 50 Prozent der Erwerbstätigen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren an Weiterbildungen teil, zu denen auch Umschulungen zählen. Im Vergleich zu 1991, als die Quote bei nur 23 Prozent lag, ist dies ein enormer Anstieg. Und doch verläuft die berufliche Neuorientierung für die wenigsten so reibungslos für Domke. Zwar klagen viele Unternehmen über den Fachkräftemangel. Über Bewerbungen von Menschen jenseits der 50 hält sich die Begeisterung dennoch bei ebenso vielen Firmen in Grenzen.
Uwe Matthias Müller hört immer wieder von über 50-Jährigen, die Hunderte von Bewerbungen schreiben und nie eine Antwort erhalten. „Kürzlich rief mich eine 52-Jährige an, die über 150 Bewerbungen verschickt hatte und nur von dreien eine direkte Absage erhielt – von den anderen bekam sie nicht einmal eine Rückmeldung“, erzählt der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes 50Plus, der sich für die Potenziale und Interessen der über 50-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt einsetzt.
Müller ist überzeugt, dass die Unternehmen sich das nicht mehr allzu lange leisten können. Schon heute ist fast jeder vierte Beschäftigte über 55 Jahre alt, etwa zwei Millionen Ältere werden in Engpassberufen in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen. Wer die offenen Stellen besetzen will, wird auf Ältere angewiesen sein. Auf ihr Wissen. Und auf ihr Engagement.
Vor allem die deutschen Banken stehen vor enormen Herausforderungen, denn nicht die Zinswende oder die Rezession sind die drängendsten Probleme der Geldhäuser – sondern der Personalmangel: Schon heute liegt das Durchschnittsalter der Mitarbeiter in deutschen Banken und Sparkassen bei über 47 Jahren. Bis 2030 werden die meisten Institute rund 30 Prozent ihrer Mitarbeiter verlieren. Vor dem Hintergrund, dass bereits im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres laut Personalmarktforschung Index rund 65.000 Stellen im Finanz- und Rechnungswesen unbesetzt waren, eine düstere Prognose.
Das hat auch die Berliner Volksbank erkannt: Auch hier reicht die klassische Ausbildung zum Bankkaufmann nicht mehr aus, um alle offenen Stellen zu besetzen. Mit einem Quereinsteigerprogramm baut sich das Unternehmen deshalb seit Januar innerhalb weniger Monate seine eigenen Fachkräfte auf – unabhängig von Alter und Qualifikation.
Quereinsteigerprogramm bei den Banken
Nur: Wenn in Deutschland eine Lehrstelle ausgeschrieben wird, fühlen sich nur wenige Menschen jenseits des klassischen Ausbildungsalters angesprochen. „Wir mussten uns damals erst einmal überlegen, wie wir deutlich machen, dass bei uns wirklich jeder willkommen ist und der Lebenslauf zweitrangig ist“, erinnert sich Gabriele Kinast, Leiterin Recruiting. In den Anzeigen betonte die Bank deshalb, dass sie Menschen sucht, die Lust auf einen Neuanfang haben.
Viele Voraussetzungen an potenzielle Kandidaten stellte sie nicht. „Wir wollten uns den Pool an Bewerbern so groß wie möglich halten.“ Nur eine gewisse Affinität mit Technik sollten die Bewerber mitbringen.
Und auch die Akzeptanz im Unternehmen war bei der Kandidatensuche entscheidend: Denn oft, betont Kinast, kämen potenzielle Kandidaten gar nicht über die klassischen Wege auf die Stelle, sondern über Mitarbeiter innerhalb der Bank. „Damit diese Kanäle weiter offen bleiben, muss allen klar sein, dass das Alter für die Wertschätzung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Rolle spielt“, sagt die Personalerin. Das funktioniere gerade dann, wenn Menschen jeden Alters und verschiedener Generationen unter einem Dach zusammenarbeiten.
Die Ausbildung folgt dabei den Grundbausteinen einer traditionellen Kaufmannsausbildung. Allerdings werden die Schulbesuche, die mündlichen und schriftlichen Prüfungen sowie die Praktika in den Filialen sozusagen im „Turbo-Modus“ durchgeführt und gezielt auf die Anforderungen in der Filiale und im Kundenservice zugeschnitten. Im Gegensatz zu Schülern oder Abiturienten müssen älteren Azubis die Grundzüge des Bankwesens nicht mehr erklärt werden. Daher reichen neun Monate aus, um sie gezielt auf ihre Aufgaben im Unternehmen vorzubereiten.
Wertschätzung ausschlaggebend
Die Ausbildung feierte im Januar Premiere und befindet sich nun bereits in der zweiten Runde: Etwa alle vier Monate erhalten 12 bis 15 Menschen die Chance, bei der Berliner Volksbank als Volksbankkaufleute einen Neuanfang zu wagen. „Im ersten Durchgang“, erzählt Kinast. „hatten wir eine Kollegin, die bereits über 20 Jahre lang bei ihrem vorherigen Arbeitgeber war und alles hinter sich gelassen hat“. Das, betont sie, erfordere enormen Mut. Es sei etwas ganz anderes, wenn ein Schüler eine Ausbildung beginnt, der noch sein ganzes Leben vor sich hat. Die Älteren stünden mitten im Leben und hätten vielfältige Verpflichtungen.
Auch deshalb sei es wichtig, dass die Teilnehmer des Programms von Anfang an angemessen entlohnt werden. „Uns war von Anfang an klar, dass die Teilnehmer kein Lehrlingsgehalt bekommen können, sondern ein Einstiegsgehalt, das ihrer späteren Position im Unternehmen entspricht, damit das Umschulungsprojekt funktioniert.“
Für Träume ist es nie zu spät
Auch Anke Hirsch, inzwischen 65 Jahre alt, wagte vor etwa einem Jahrzehnt den beruflichen Neuanfang: Nach fast 25 Jahren beim selben Arbeitgeber wechselte die damals 55-jährige als Bauingenieurin zur Deutschen Bahn. Eigentlich hätte sie vor einem Jahr in den Ruhestand gehen sollen. Doch als ihr Vorgesetzter sie fragte, ob sie weiterhin im Unternehmen bleiben möchte, sagte sie sofort zu. Seither ist sie Senior-Expertin.
So nennt die Bahn all jene erfahrenen Mitarbeiter, deren Wissen der Konzern auch dann noch nutzen will, wenn sie das Renteneintrittsalter erreicht haben. Fast jeder dritte Deutsche nimmt die so genannte „Rente mit 63“ in Anspruch und scheidet damit vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus. Auch weil diesen Menschen Perspektiven und Projekte in ihrem Beruf fehlen. Diesem Trend will die Bahn unter anderem mit dem Senior-Expert-Programm entgegenwirken.
Im vergangenen Jahr stellte das Unternehmen fast 1400 neue Mitarbeiter über 55 Jahre ein – von Quereinsteigern im Marketing bis hin zu Busfahrern und Lokführern.
Kerstin Wagner, Leiterin der Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn betont: „Natürlich sind Fachkenntnisse wichtig, aber mindestens genauso wichtig sind uns die Motivation und Leidenschaft, die in den Beruf eingebracht werden, und das ist unabhängig vom Alter.
Anke Hirsch arbeitet deshalb nicht nur drei Tage pro Woche daran, neue Mitarbeiter im IT- und Softwarebereich der Deutschen Bahn einzuarbeiten. Sie betreut auch das Großprojekt Karlsruhe-Basel, in dessen Rahmen derzeit eine 200 Kilometer lange neue Bahnstrecke entsteht. „Weder mit 56 noch heute mit 65 Jahren habe ich jemals gespürt, dass mein Alter irgendwie von Bedeutung ist“, erinnert sich Hirsch. Ganz im Gegenteil: Sie erfährt Anerkennung für ihr Know-how. Und kann sich heute sogar ihren größten beruflichen Traum erfüllen: den Bau eines Tunnels.