Die Rezession erreicht den Arbeitsmarkt: Die Zahl der Arbeitslosen steigt kräftig, die Chancen auf neue Jobs schwinden

Quelle: BusinessInsider_Romanus Otte_

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Die Rezession erreicht den Arbeitsmarkt. Das zeigen eine Reihe neuer Zahlen und Umfragen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im September zum Vorjahr um 141.000.

Auch die wichtigsten Umfragen bei Experten zeigen: Bei der Beschäftigung scheint der Höhepunkt erreicht.

Fazit der Bundesagentur für Arbeit: „Die Chancen für arbeitslose Menschen auf eine neue Beschäftigung sind sehr niedrig. Für Beschäftigte gilt aber nach wie vor: sie haben ein sehr geringes Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.“

Die anhaltenden Schwäche der deutschen Wirtschaft erreicht den Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahl stieg im September zum Vorjahr kräftig. Das Wachstum der Beschäftigung lässt nach. Umfragen bei Unternehmen und bei den Jobcentern zeigen: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland dürfte im Herbst und Winter spürbar zunehmen.

„Auf dem Arbeitsmarkt sind die Spuren der schwachen Wirtschaftsleistung sichtbar, er steht aber immer noch deutlich besser da als die Konjunktur“, kommentierte die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitslosenzahl für September. Die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern gehe zurück.

Die Stimmung beginnt zu kippen, die Sorgen wachsen. Der Höhepunkt bei der Beschäftigung dürfte erreicht sein. Fachkräfte bleiben knapp. Aber: „Die Chancen für arbeitslose Menschen auf eine neue Beschäftigung sind sehr niedrig. Für Beschäftigte gilt aber nach wie vor: sie haben ein sehr geringes Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren“, resümiert die Bundesagentur.

Hier sind die wichtigsten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt – jeweils mit Grafiken verdeutlicht:

Arbeitslosenzahl in Deutschland steigt zum Vorjahr

Zur Arbeitslosigkeit legte die Bundesagentur für Arbeit am Freitag die September-Zahlen vor. Die Zahl der Arbeitslosen ging zum August um 69.000 auf 2,63 Millionen zurück. Dabei ist zu aber beachten, dass die Arbeitslosenzahl im September nach den Sommerferien saisonbedingt stets zunimmt. Ohne diesen Saisoneffekt nahm die Arbeitslosigkeit im August um 10.000 Menschen zu.

Deutlich wird die Schwäche des Arbeitsmarktes beim Vergleich zum Vorjahr. Verglichen mit dem September 2022 waren in Deutschland aktuell 141.000 mehr Menschen arbeitslos gemeldet.

Eine Rolle spielen in der Statistik derzeit die vielen Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland Schutz vor Russlands Angriff auf ihr Land suchen. Sie dürfen – anders als viele andere Geflüchtete oder Asylbewerber – hier arbeiten und gehen in die Statistik ein. Sie erhöhen daher sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch der Arbeitslosen. Auf die Veränderung der Arbeitslosenzahlen hatten sie im September aber kaum Einfluss, teilte die Bundesagentur mit.

Die Arbeitslosenquote verringerte sich im September August von 5,8 auf 5,7 Prozent. Im Laufe eines Jahres ist sie um 0,3 Prozentpunkte gestiegen.

Die Unterbeschäftigung nimmt zu

Die Unterbeschäftigung ist höher als die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen. Sie bezieht auch Menschen ein, die grundsätzlich arbeiten wollen, dem Arbeitsmarkt aber vorübergehend nicht zur Verfügung stehen. Gründe können sein, dass sie sich in Schulungen der Jobcenter auf einen neue Arbeit vorbereiten oder aus persönlichen Gründen nicht arbeiten können.

Diese Unterbeschäftigung lag im September 2023 bei 3,44 Millionen Personen. Das waren 190.000 mehr als vor einem Jahr. Diese Zahl enthält zahlreiche Ukrainerinnen, die zum Beispiel gerade Sprachkurse belegen, um sich auf eine Beschäftigung vorzubereiten. Ohne die Berücksichtigung ukrainischer Geflüchteter hätte die Unterbeschäftigung um 105.000 über dem Vorjahreswert gelegen, schreibt die Bundesagentur.

Lichtblick: Zahl der Erwerbstätigen wächst

Die Zahlen zur Beschäftigung kommen immer mit Verzögerung. Das Statistische Bundesamt legte sie für den August vor. Insgesamt waren in Deutschland 45,8 Millionen Personen erwerbstätig. Rechnet man den Saisoneffekt heraus, war dies zum Juli ein Plus von immerhin 34.000.

Gegenüber Juli 2022 stieg die Zahl der Erwerbstätigen dagegen kräftig um 342 000 Personen oder 0,7 Prozent. „Der langfristige Aufwärtstrend auf dem Arbeitsmarkt setzte sich also auch in den Sommermonaten 2023 fort, wenngleich mit vergleichsweise geringer Dynamik“, schreiben die Statistiker. Das zeigt auch die folgende Grafik.

Die Beschäftigung steigt also, obwohl die Wirtschaftsleistung in Deutschland seit Monaten schrumpft oder bestenfalls stagniert. Darin spiegelt sich vor allem der Fachkräftemangel wider. Unternehmen haben immer noch viele offene Stellen, und stellen ein, wenn sie passende Kandidaten finden. Gleichzeitig behalten sie Beschäftigte auch in wirtschaftlich schwierigerer Zeit, weil sie fürchten, später keine geeigneten Bewerber zu finden. Das hat den Arbeitsmarkt so „robust“ gemacht.

Nun könnte der Höhepunkt bei der Beschäftigung aber erreicht sein. Die Grafik macht die nachlassende Dynamik deutlich.

So sind die Aussichten der Unternehmen und Jobcenter

Die Zahlen, um die es bisher ging, blicken zurück. Wie aber sind die Aussichten für die kommenden Monate? Das ermitteln das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in einer Umfrage bei Unternehmen und das Forschungsinstitut IAB der Bundesagentur für Arbeit in einer Umfrage bei den Jobcentern.

Das Beschäftigungsbarometer des Ifo-Instituts zeigt, dass die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen im August zurückging, wenn auch nur leicht. Der Index fiel von 97,0 auf 95,8 Punkte. Ein Wert von 100 gilt als neutral.„Aufgrund der wirtschaftlichen Schwächephase halten sich viele Unternehmen mit Neueinstellungen zurück“, sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe.

Besonders in der Industrie werde vermehrt über Entlassungen nachgedacht. Gleiches gelte auch für den Handel und das Baugewerbe. Bei Dienstleistungen sehe es besser aus. „In der IT-Branche sowie im Tourismus werden viele neue Mitarbeiter gesucht.“

Ifo befragt für sein Barometer 9.500 Unternehmen zu ihrer Personalplanung in den kommenden drei Monaten.

Das Arbeitsmarktbarometer des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fiel im August aug 99,8 Punkte, 0,7 Punkte niedriger als im Vormonat. Der Frühindikator drehte damit erstmals seit der Corona-Krise wieder unter die neutrale Marke von 100. Dies ist tiefste Stand seit 2020. „Der Wirtschaftsabschwung hat sich in Deutschland festgesetzt – mittlerweile hinterlässt das auch Spuren am Arbeitsmarkt“, sagt IAB-Experte Enzo Weber.

Das IAB-Barometer fragt bei den Jobcentern zwei Erwartungen ab, zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigung. Die Vorhersage der Arbeitslosigkeit fiel auf 97 Punkte. Ein Wert unter 100 deutet auf eine steigende Arbeitslosigkeit hin. Die Vorhersage der Beschäftigung fiel im August zum vierten Mal in Folge, blieb mit 102,6 Punkten aber positiv.

„Halb leer oder halb voll? Der Arbeitsmarkt ist in Mitleidenschaft gezogen, steht aber immer noch deutlich besser da als die Konjunktur“, ordnete IAB-Forscher Weber die Situation ein.